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Der Albtraum jedes Pferdebesitzers – Wenn jede Minute zählt
Es ist der Anblick, der das Blut in den Adern gefrieren lässt: Das Pferd steht apathisch in der Box, die Vorderbeine weit nach vorne gestreckt, der Blick gequält. Jeder Schritt scheint eine unüberwindbare Qual zu sein. Dieser Moment ist der wahrgewordene Albtraum eines jeden Pferdehalters und markiert den Beginn eines Wettlaufs gegen die Zeit. Die Diagnose lautet Hufrehe, auch Laminitis genannt – eine der schmerzhaftesten und potenziell verheerendsten Erkrankungen, die ein Pferd erleiden kann. Nach Koliken ist sie die zweithäufigste Todesursache bei Pferden und Ponys.
In dieser Extremsituation sind Panik und Hilflosigkeit verständliche Reaktionen. Doch genau jetzt sind ein kühler Kopf und entschlossenes, korrektes Handeln entscheidend für die Zukunft Ihres Pferdes. Die gute Nachricht ist: Sie sind nicht machtlos. Die Prognose einer Hufrehe hängt maßgeblich davon ab, wie schnell und richtig die Erstversorgung erfolgt. Die ersten Stunden sind kritisch und können über den Grad der bleibenden Schäden entscheiden.
Dieser Beitrag ist Ihr detaillierter Notfallplan. Er soll Ihnen nicht Angst machen, sondern Sie mit dem nötigen Wissen und einer klaren Handlungsanweisung ausstatten. Wir führen Sie, basierend auf aktuellen veterinärmedizinischen Erkenntnissen, Schritt für Schritt durch die 7 entscheidenden Sofortmaßnahmen, die Sie im Falle eines akuten Hufrehe-Verdachts kennen und umsetzen MÜSSEN. Denn Ihr schnelles Handeln kann das Leiden Ihres Pferdes lindern und ihm im Ernstfall das Leben retten.
Teil 1: Hufrehe Verstehen – Was im Huf Ihres Pferdes wirklich passiert
Um die Dringlichkeit der Sofortmaßnahmen zu verstehen, ist es unerlässlich zu wissen, welch dramatische Prozesse sich während eines Reheschubs im Inneren des Hufes abspielen. Hufrehe ist weit mehr als nur eine „Entzündung am Huf“; sie ist oft die lokale Manifestation einer schweren systemischen Krise, die den gesamten Organismus betrifft.
Die Anatomie des Schmerzes: Das Klettverschluss-System im Huf
Der Huf des Pferdes ist ein biomechanisches Meisterwerk. Das gesamte Körpergewicht lastet auf dem Hufbein, einem Knochen innerhalb der harten Hornkapsel. Die entscheidende Verbindung zwischen diesem Knochen und der äußeren Hufwand wird durch die Huflederhaut hergestellt. Diese Struktur ist nicht einfach nur eine Hautschicht, sondern ein hochkomplexes Aufhängesystem. Man kann es sich am besten wie einen extrem starken Klettverschluss vorstellen: Tausende von winzigen, ineinandergreifenden Lamellen (Lederhaut- und Hornblättchen) verzahnen die Hornkapsel fest mit dem Hufbein und tragen so bei jedem Schritt die gesamte Last.
Die Entzündungskaskade: Eine Katastrophe im Huf
Bei einer Hufrehe handelt es sich um eine diffuse, aseptische (also nicht durch Bakterien oder Viren verursachte) Entzündung genau dieser Lamellenstruktur der Huflederhaut. Der Auslöser ist fast immer eine massive Störung der Mikrozirkulation – der feinsten Blutgefäße im Huf. Dies führt zu einer verheerenden Kaskade:
- Durchblutungsstörung: Die feinen Blutgefäße verkrampfen sich, was die Sauerstoff- und Nährstoffversorgung des Gewebes unterbricht.
- Schwellung (Ödem): Durch die geschädigten Gefäßwände tritt Flüssigkeit in das umliegende Gewebe aus. Da die Hornkapsel eine starre, unnachgiebige Hülle ist, kann diese Schwellung nicht entweichen.
- Druckanstieg: Der Druck im Huf steigt ins Unermessliche. Dies verursacht nicht nur extreme Schmerzen, sondern quetscht die Blutgefäße weiter ab, was die Durchblutung noch mehr verschlechtert – ein Teufelskreis.
- Gewebezerstörung: Ohne Sauerstoff und Nährstoffe beginnt das empfindliche Lamellengewebe abzusterben. Die Enzyme, die für den Abbau von Gewebe zuständig sind (Matrix-Metalloproteinasen), werden aktiviert und beginnen, die „Klettverbindung“ regelrecht aufzulösen.
Die gefürchteten Folgen: Hufbeinrotation und -senkung
Wenn dieser „Klettverschluss“ versagt, verliert das Hufbein seine stabile Verankerung in der Hornkapsel. Gleichzeitig übt die tiefe Beugesehne, die an der Unterseite des Hufbeins ansetzt, einen konstanten, starken Zug aus. Die Folgen sind katastrophal:
- Hufbeinrotation: Das Hufbein kippt unter dem Zug der Sehne nach unten. Die Hufbeinspitze neigt sich in Richtung der Sohle.
- Hufbeinsenkung: In schweren Fällen löst sich der gesamte Aufhängeapparat, und das Hufbein sinkt komplett tiefer in die Hornkapsel ab.
Beide Prozesse sind nicht nur extrem schmerzhaft, sondern führen zu schweren, oft irreversiblen Schäden. Im schlimmsten Fall durchbricht die Hufbeinspitze die Sohle (Hufbeindurchbruch) oder die gesamte Hornkapsel löst sich vom Fuß (Ausschuhen). Diese Zustände sind oft mit so unerträglichen Schmerzen verbunden, dass eine Erlösung des Pferdes die einzige tierschutzgerechte Option ist. Das Verständnis dieser Mechanismen macht deutlich, warum jede Minute zählt und warum die Sofortmaßnahmen darauf abzielen, diese zerstörerische Kaskade so früh wie möglich zu unterbrechen.
Teil 2: Alarmstufe Rot – Die Symptome einer Hufrehe sicher erkennen
Die Fähigkeit, die Anzeichen einer Hufrehe frühzeitig zu erkennen, ist eine der wichtigsten Fähigkeiten eines Pferdebesitzers. Die Erkrankung verläuft in Stadien, und je früher Sie eingreifen, desto besser die Prognose.
Frühe, subtile Warnzeichen (Das Vorläufer- oder Prodromalstadium)
Viele Besitzer übersehen dieses kritische Zeitfenster, da die Symptome anfangs oft unspezifisch sind. Seien Sie besonders wachsam, wenn Sie eines oder mehrere der folgenden Anzeichen bemerken:
- Klammer, steifer Gang: Das Pferd bewegt sich vorsichtig, fast wie auf Eiern, besonders auf hartem Boden oder in engen Wendungen.
- Widerwille beim Hufegeben: Das Pferd zögert, einen Huf zu heben, oder lehnt sich stark an, weil das Stehen auf drei Beinen schmerzhaft ist.
- Häufiges Entlasten („Trippeln“): Im Stehen wird das Gewicht ständig von einem Vorderhuf auf den anderen verlagert.
- Leicht erwärmte Hufe: Die Hufe fühlen sich wärmer an als normal, aber noch nicht heiß.
- Fühlbare Pulsation: An der Rückseite des Fesselgelenks lässt sich die Mittelfußarterie ertasten. Bei einer beginnenden Rehe ist hier ein leichtes, aber deutliches Pulsieren zu spüren, das normalerweise nicht vorhanden ist.
Eindeutige Symptome des akuten Schubs (Stadium 2-4)
In dieser Phase ist die Hufrehe ein unübersehbarer Notfall. Die Symptome sind nun dramatisch:
- Die „Sägebockstellung“: Dies ist das klassischste Anzeichen. Das Pferd streckt die Vorderhufe weit nach vorne, um das Gewicht auf die weniger schmerzhaften Trachten zu verlagern. Gleichzeitig schiebt es die Hinterbeine weit unter den Bauch, um einen Teil der Last von der Vorhand zu übernehmen.
- Heiße Hufe: Die Hufe sind nun aufgrund der starken Entzündung deutlich heiß, insbesondere im Bereich des Kronrands.
- Pochender Puls: Die Pulsation der Mittelfußarterie ist jetzt stark und hämmernd („pochend“).
- Extreme Lahmheit und Bewegungsverweigerung: Das Pferd weigert sich, sich zu bewegen, und jeder Schritt ist sichtlich qualvoll. Manche Tiere legen sich häufig oder permanent hin.
- Trachtenfußung: Um die extrem schmerzhafte Hufspitze zu entlasten, landet das Pferd beim Gehen zuerst mit den Trachten auf dem Boden.
Blick in die Zukunft: Anzeichen der chronischen Rehe
Wenn ein akuter Schub nicht optimal behandelt wird oder die Ursache bestehen bleibt, geht die Rehe in ein chronisches Stadium über. Die Hufe zeigen dann bleibende Veränderungen:
- Reheringe: An der Hufwand bilden sich Hornringe, die an den Trachten weiter auseinanderlaufen als an der Zehe.
- Veränderte Hufform: Die Zehenwand kann nach innen wölben (konkav, „Knollhuf“).
- Verbreiterte weiße Linie: An der Sohle ist die Verbindung zwischen Hufwand und Sohle (weiße Linie) deutlich verbreitert, oft mit Einblutungen oder minderer Hornqualität.
| Stadium | Bewegung & Haltung | Huf-Temperatur & Puls | Sonstige Anzeichen |
| Vorläuferstadium (Prodromal) | Klammer, steifer Gang, Wendeschmerz. Widerwillig beim Hufegeben. Abwechselndes Entlasten („Trippeln“). | Hufe leicht erwärmt. Pulsation an der Fesselarterie eventuell schwach fühlbar. | Pferd sucht weichen Boden. Leichte Schmerzreaktion bei Hufzangenprobe möglich. |
| Akutes Stadium | Deutliche bis hochgradige Lahmheit, Bewegungsverweigerung. Klassische Sägebockstellung. Trachtenfußung. Häufiges Liegen. | Hufe sind heiß. Starke, pochende Pulsation an der Fesselarterie. | Starke Schmerzreaktion bei Berührung/Hufzange. Eventuell Fieber, Schwitzen, Zittern, Apathie, Appetitlosigkeit. |
| Chronisches Stadium | Lahmheit kann variieren, oft dauerhaft fühlig. Haltung kann normal sein oder weiterhin entlastend. | Hufe können kalt sein durch verminderte Durchblutung. Pulsation kann abklingen. | Sichtbare Hufformveränderungen: Reheringe, verbreiterte weiße Linie, Knick in der Zehenwand, schlechte Hornqualität. |
Teil 3: Der Notfallplan – Ihre 7 Sofortmaßnahmen bei akutem Hufrehe-Verdacht
Sobald Sie den Verdacht auf Hufrehe haben, beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit. Befolgen Sie diesen Plan konsequent und ohne Zögern. Jede dieser Maßnahmen hat einen spezifischen, wissenschaftlich begründeten Zweck.
1. Maßnahme: Tierarzt SOFORT alarmieren!
Die Aktion: Greifen Sie ohne jeden Verzug zum Telefon und rufen Sie Ihren Tierarzt oder die nächste Pferdeklinik an. Betonen Sie, dass es sich um einen Hufrehe-Notfall handelt.
Die Begründung: Dies ist die absolut wichtigste und unaufschiebbare Maßnahme. Hufrehe ist keine Erkrankung, die man „aussitzen“ oder selbst behandeln kann. Nur ein Tierarzt kann eine gesicherte Diagnose stellen, den Schweregrad beurteilen (u.a. durch Röntgenaufnahmen zur Kontrolle der Hufbeinlage) und die notwendigen, verschreibungspflichtigen Medikamente verabreichen. Dazu gehören hochwirksame Entzündungshemmer, Schmerzmittel und Medikamente zur Verbesserung der Durchblutung. Jede Minute Verzögerung erhöht das Risiko für bleibende, katastrophale Schäden am Hufbeinträger.
Was Sie dem Tierarzt mitteilen sollten:
- Genaue Beschreibung der Symptome (z.B. „Sägebockstellung“, „pochender Puls“, „wehrt sich gegen Bewegung“).
- Körpertemperatur des Pferdes.
- Informationen über mögliche Auslöser (z.B. „war heute auf der Weide“, „hat Kraftfutter gestohlen“, „hatte gestern eine schwere Kolik“).
Fehler, den es zu vermeiden gilt: Der größte Fehler ist, abzuwarten, ob es von alleine besser wird. Wird es nicht. Die Zerstörung im Huf schreitet unsichtbar voran, auch wenn das Pferd vielleicht kurzzeitig einen besseren Eindruck macht.

2. Maßnahme: Kühlen, Kühlen, Kühlen! (Die Kryotherapie korrekt anwenden)
Die Aktion: Beginnen Sie sofort mit dem intensiven und ununterbrochenen Kühlen der betroffenen Hufe und Beine, noch während Sie auf den Tierarzt warten.
Die Begründung: Die Kältetherapie (Kryotherapie) ist eine der wirksamsten Erstmaßnahmen und weit mehr als nur Schmerzlinderung. Die extreme Kälte hat zwei entscheidende Effekte:
Reduzierung der Schwellung: Die Kälte bewirkt ein Zusammenziehen der Blutgefäße (Vasokonstriktion). Dies reduziert den Bluteinstrom in das entzündete Gebiet, verringert die Schwellung (Ödem) und damit den schmerzhaften Druck in der Hufkapsel.
Hemmung der Zerstörung: Eiskalte Temperaturen (unter 5°C) verlangsamen den Stoffwechsel in den Hufzellen drastisch. Dadurch wird die Aktivität der gewebezerstörenden Enzyme (Matrix-Metalloproteinasen) gehemmt, die für die Auflösung der Lamellenverbindung verantwortlich sind.
Die korrekte Anwendung:
- Temperatur ist entscheidend: Verwenden Sie Eiswasser, kein lauwarmes Wasser aus dem Schlauch. Das Ziel sind Temperaturen um 0-5°C. Zu warmes Wasser kann die Durchblutung sogar anregen und den Zustand verschlimmern.
- Dauer ist entscheidend: Das Kühlen muss kontinuierlich über einen Zeitraum von mindestens 48 bis 72 Stunden erfolgen. Ein kurzes Abspritzen für 20 Minuten ist bei weitem nicht ausreichend.
- Ort ist entscheidend: Kühlen Sie nicht nur den Huf, sondern das gesamte untere Bein bis zum Vorderfußwurzelgelenk (Karpalgelenk) bzw. Sprunggelenk. Das Hufhorn isoliert sehr gut. Die Kühlung muss das Blut erreichen, bevor es in den Huf eintritt.
- Methoden: Am effektivsten sind Eimer, die hoch mit Wasser und Crushed Ice gefüllt sind. Alternativ eignen sich spezielle Kryotherapie-Stiefel oder auch improvisierte Lösungen wie mit Eis gefüllte Gefrierbeutel oder Wasserbomben, die um das Röhrbein gebunden werden.
Fehler, den es zu vermeiden gilt: Bei einer seltenen, kälteinduzierten Hufrehe (oft im Winter ohne Futterumstellung) kann Kühlen kontraproduktiv sein. Im Zweifel gilt jedoch: Kühlen ist fast immer die richtige Erstmaßnahme. Sprechen Sie dies aber unbedingt mit dem Tierarzt ab.
3. Maßnahme: Weich betten für maximale Entlastung
Die Aktion: Bringen Sie Ihr Pferd sofort in eine Box mit einer sehr tiefen, weichen und nachgiebigen Einstreu.
Die Begründung: Eine tiefe, formbare Einstreu hat eine wichtige mechanische Funktion: Sie stützt die Sohle und den Strahl des Hufes von unten. Dadurch wird die Last von der extrem schmerzhaften und geschädigten Hufwand und den Lamellen genommen und auf die weniger empfindlichen Strukturen im hinteren Hufbereich verteilt. Dies lindert den Schmerz und reduziert die mechanische Belastung, die die Hufbeinrotation vorantreiben kann.
Die idealen Materialien:
- Sand: Eine dicke Schicht (mindestens 15-20 cm) steinfreier Sand ist ideal, da er sich perfekt an die Hohlform der Sohle anpasst und gleichmäßigen Gegendruck bietet.
- Torf oder Späne: Eine sehr tiefe Einstreu aus Torf oder Holzspänen (mindestens 30 cm) ist ebenfalls sehr gut geeignet. Viele Kliniken verwenden Torf als Standard für Rehepatienten.
- Kiesbett: Einige Experten empfehlen sogar, einen kleinen Haufen runden Kies (Körnung 2-8 mm) im Paddock oder in der Box anzubieten. Viele Pferde mit Hufrehe stellen sich instinktiv darauf, da der Kies eine stabile und gleichzeitig nachgiebige Unterstützung bietet.
Ein wichtiger Aspekt in diesem Zusammenhang ist das Liegen. Pferdebesitzer geraten oft in Panik, wenn ihr Pferd viel liegt. Im Fall einer akuten Hufrehe ist Liegen jedoch das Beste, was Ihr Pferd tun kann. Es ist die einzige Möglichkeit, den Druck vollständig von den gequälten Hufen zu nehmen. Treiben Sie Ihr Pferd auf keinen Fall zum Aufstehen an. Eine tiefe, einladende Einstreu ermutigt das Pferd, sich hinzulegen und sich selbst die dringend benötigte Entlastung zu verschaffen.
4. Maßnahme: Sofortiger Futterstopp (Alles außer Heu & Wasser)
Die Aktion: Entfernen Sie umgehend jegliches Kraftfutter (Hafer, Gerste, Müsli), Pellets, Mash, Leckerlis, Obst (Äpfel, Bananen), Karotten und Brot aus der Reichweite Ihres Pferdes.
Die Begründung: Die häufigste Ursache für Hufrehe ist eine fütterungsbedingte Stoffwechselentgleisung durch einen Überschuss an leicht verdaulichen Kohlenhydraten (Zucker und Stärke). Diese überfluten den Dickdarm, führen zu einer massiven Übersäuerung (pH-Wert-Abfall) und einem Absterben der nützlichen Darmbakterien. Dabei werden große Mengen an Giftstoffen (Endotoxinen) freigesetzt, die in die Blutbahn gelangen und die Entzündungskaskade im Huf auslösen. Selbst wenn die Ursache eine metabolische Störung wie EMS oder Cushing ist, führt die Aufnahme von Zucker und Stärke zu einem gefährlichen Anstieg des Insulinspiegels, der als direkter Auslöser für Hufrehe gilt. Jede weitere Zufuhr dieser Futtermittel gießt also buchstäblich Öl ins Feuer.
Fehler, den es zu vermeiden gilt: Zu denken, eine kleine Handvoll Karotten oder ein einzelnes Leckerli würde schon nicht schaden. Im akuten Zustand ist der Stoffwechsel des Pferdes bereits völlig überlastet. Hier gilt eine Null-Toleranz-Politik. Das Einzige, was Ihr Pferd jetzt braucht, sind Wasser und speziell aufbereitetes Heu.
5. Maßnahme: Hufpolster anlegen (Mechanische Erste Hilfe)
Die Aktion: Wenn möglich, legen Sie einen weichen, stützenden Polsterverband an den betroffenen Hufen an.
Die Begründung: Ein Hufpolster ist eine direkte mechanische Unterstützung und Ergänzung zur weichen Einstreu. Es hat mehrere wichtige Funktionen: Es polstert die Sohle und den Strahl, um den Druck von der Hufwand zu nehmen. Oft wird dabei die Trachte leicht erhöht, was den Zug der tiefen Beugesehne am Hufbein reduziert und so der gefürchteten Rotation entgegenwirkt.
Die praktische Umsetzung (DIY-Notfallpolster):
- Materialien: Sie benötigen dickes Polstermaterial (z.B. spezielle Rehepolster aus dem Fachhandel, dicke Filzplatten, mehrere Lagen Verbandwatte oder sogar aufgerollte Bandagen) und stabiles Klebeband (Panzerband, selbsthaftende Bandagen).
- Anleitung: Reinigen Sie den Huf grob. Legen Sie das Polster so auf die Sohle und den Strahl, dass es diese Bereiche komplett ausfüllt und unterstützt. Achten Sie darauf, dass die Hufwand an der Zehe möglichst wenig Druck bekommt. Fixieren Sie das Polster fest mit dem Klebeband rund um die Hufkapsel.
- Professionelle Alternativen: Wenn Sie spezielle Therapiehufschuhe (z.B. Easyboot Cloud) mit den passenden Einlagen zur Hand haben, sind diese eine hervorragende Option.
Fehler, den es zu vermeiden gilt: Einen punktuellen Druck zu erzeugen. Das Polster muss die Last gleichmäßig über die gesamte Sohlen- und Strahlfläche verteilen. Wenn Sie unsicher sind, wie der Verband korrekt angelegt wird, warten Sie besser auf die Ankunft des Tierarztes oder Hufschmieds.

6. Maßnahme: Absolute Boxenruhe (Bewegung ist jetzt Gift)
Die Aktion: Sorgen Sie für strikte und absolute Boxenruhe. Führen Sie das Pferd nicht, longieren Sie es nicht und stellen Sie es unter keinen Umständen auf die Weide oder den Paddock.
Die Begründung: Dies ist einer der kontraintuitivsten, aber wichtigsten Punkte. Jede Bewegung, jeder einzelne Schritt, übt eine enorme mechanische Scher- und Zugkraft auf die bereits entzündeten und geschwächten Lamellen aus. Bewegung kann die Verbindung zwischen Hufbein und Hornkapsel buchstäblich zerreißen und eine anfangs vielleicht noch beherrschbare Situation in eine irreparable Katastrophe verwandeln.
Besondere Vorsicht ist geboten, nachdem der Tierarzt Schmerzmittel verabreicht hat. Das Pferd fühlt sich durch die Medikamente möglicherweise besser und zeigt den Drang, sich zu bewegen. Dies ist eine trügerische Besserung. Die inneren Strukturen des Hufes sind nach wie vor extrem fragil. Der Besitzer darf sich davon nicht täuschen lassen und muss die Boxenruhe konsequent durchsetzen, um eine Überlastung der geschädigten Hufe zu verhindern. Der oft gehörte Rat, Bewegung würde die Durchblutung fördern, ist in der akuten Phase ein gefährlicher Mythos. Der mechanische Schaden überwiegt bei weitem jeden potenziellen Nutzen.
7. Maßnahme: Nur noch gewässertes Heu füttern
Die Aktion: Das einzige Futter, das Ihr Pferd im akuten Schub erhalten darf, ist Heu, das zuvor für mindestens 30 bis 60 Minuten in Wasser eingeweicht wurde.
Die Begründung: Auch Heu enthält von Natur aus Zuckerverbindungen (wasserlösliche Kohlenhydrate, WSC), zu denen auch die gefährlichen Fruktane gehören. Durch das Wässern wird ein Großteil dieser Zucker aus dem Heu ausgewaschen, was die Belastung für den gestörten Stoffwechsel des Pferdes erheblich reduziert.
Die korrekte Anwendung:
- Wässern: Tauchen Sie das Heu vollständig in einen Trog oder eine Wanne mit kaltem Wasser. Eine Dauer von 30 bis 60 Minuten ist in der Regel ausreichend.
- Abtropfen lassen: Lassen Sie das Heu nach dem Wässern gut abtropfen und schütten Sie das zuckerhaltige Wasser weg. Verhindern Sie, dass Ihr Pferd dieses Wasser trinkt.
- Sofort füttern: Verfüttern Sie das nasse Heu umgehend. Feuchtes Heu bietet einen idealen Nährboden für Schimmel und Bakterien und sollte nicht lange gelagert werden.
- Fütterungstechnik: Bieten Sie das gewässerte Heu idealerweise in einem engmaschigen Heunetz (Maschenweite 3-5 cm) oder einem anderen Slow-Feeder an. Dies verlängert die Fresszeit, beugt Verdauungsproblemen vor und reduziert Stress.

Fehler, den es zu vermeiden gilt: Anzunehmen, dass jedes Heu „sicher“ ist. Der Zuckergehalt kann je nach Schnittzeitpunkt und Grassorten stark variieren. Für das langfristige Management ist eine Heuanalyse Gold wert, aber im akuten Notfall ist das Wässern die sicherste und schnellste Methode, um das Risiko zu minimieren.
Teil 4: Die Ursachen aufdecken, um die Zukunft zu sichern
Nachdem die akute Notfallsituation durch die Sofortmaßnahmen stabilisiert wurde, beginnt die entscheidende Detektivarbeit. Die Identifizierung und Beseitigung der Ursache ist der einzige Weg, um zukünftige, oft noch schwerere Reheschübe zu verhindern.
Fütterungsrehe: Die Fruktan-Falle
Dies ist die mit Abstand häufigste Form der Hufrehe. Sie wird durch eine plötzliche Überladung des Verdauungstrakts mit leicht fermentierbaren Kohlenhydraten, insbesondere Fruktan aus Gras oder Stärke aus Getreide, ausgelöst. Der Prozess ist verheerend: Die Kohlenhydrate gelangen unverdaut in den Dickdarm, wo sie eine explosionsartige Vermehrung säurebildender Bakterien verursachen. Der pH-Wert im Darm sinkt drastisch, was zu einem Massensterben der „guten“ Faserverdauer-Bakterien führt. Beim Zerfall dieser Bakterien werden hochgiftige Endotoxine frei, die die Darmwand durchdringen, in den Blutkreislauf gelangen und eine systemische Entzündungsreaktion auslösen, die sich im Huf manifestiert.
Besonders tückisch ist der Fruktangehalt im Weidegras, der stark vom Wetter abhängt. Die höchste Gefahr besteht im Frühjahr und Herbst, wenn kalte Nächte (unter 8°C) auf sonnige Tage folgen. Die Pflanze produziert durch die Sonne viel Zucker (Energie), kann diesen aber wegen der Kälte nicht für Wachstum verwenden und speichert ihn stattdessen als Fruktan.
Metabolische Rehe: Die tickende Zeitbombe
Ein immer größerer Anteil der Rehefälle wird durch zugrundeliegende Stoffwechselerkrankungen verursacht. Die beiden Hauptverdächtigen sind:
- Equines Metabolisches Syndrom (EMS): Eine Wohlstandserkrankung, die durch Übergewicht und eine gestörte Reaktion auf Insulin (Insulinresistenz) gekennzeichnet ist.
- Equines Cushing Syndrom (PPID): Eine hormonelle Störung, die vor allem bei älteren Pferden auftritt und ebenfalls zu einer Insulin-Dysregulation führt.
Der gemeinsame Nenner ist eine chronisch erhöhte Konzentration des Hormons Insulin im Blut. Man weiß heute, dass hohe Insulinspiegel eine direkte, toxische Wirkung auf die Lamellen der Huflederhaut haben und eine Hufrehe auslösen können, selbst ohne eine Futterentgleisung. Achten Sie auf Anzeichen wie untypische Fettdepots (z.B. ein harter Mähnenkamm), ein langes Fell, das im Sommer nicht ausfällt, oder übermäßiges Trinken und Urinieren.
Belastungs- und Vergiftungsrehe
Obwohl seltener, sind auch diese Ursachen ernst zu nehmen:
- Belastungsrehe: Entsteht durch eine mechanische Überlastung der Hufe. Dies geschieht typischerweise, wenn ein Bein aufgrund einer schweren Verletzung (z.B. Fraktur) komplett geschont werden muss und das gegenüberliegende Bein die gesamte Last über längere Zeit tragen muss. Auch exzessive Arbeit auf sehr hartem Boden kann eine Belastungsrehe auslösen.
- Vergiftungsrehe: Hier gelangen Giftstoffe in den Kreislauf, die die Huflederhaut schädigen. Auslöser können schwere systemische Infektionen (z.B. eine Gebärmutterentzündung nach der Geburt, eine schwere Kolik), die Aufnahme von Giftpflanzen, Schimmelpilzen oder auch die Gabe bestimmter Medikamente (insbesondere Kortisonpräparate) sein.
Teil 5: Der Weg zurück – Behandlung, Prognose und langfristiges Management
Die Erstversorgung ist nur der Anfang eines langen Weges. Die Genesung erfordert ein professionelles Team, Geduld und ein tiefgreifendes Umdenken im Management des Pferdes.
Die tierärztliche Therapie
Der Tierarzt wird eine multimodale Therapie einleiten, die auf mehreren Säulen ruht:
- Medikamentöse Behandlung: Zum Einsatz kommen nicht-steroidale Entzündungshemmer (NSAIDs) wie Flunixin-Meglumin oder Phenylbutazon zur Schmerz- und Entzündungskontrolle, Blutverdünner wie Heparin oder Aspirin zur Vorbeugung von Blutgerinnseln in den feinen Hufgefäßen und gefäßerweiternde Mittel wie Acepromazin zur Verbesserung der Durchblutung.
- Diagnostische Überwachung: Röntgenbilder sind unerlässlich. Sie werden zu Beginn des Schubes angefertigt, um das Ausmaß einer eventuellen Hufbeinrotation oder -senkung zu bestimmen, und im weiteren Verlauf wiederholt, um den Heilungsprozess zu überwachen und die Hufbearbeitung anzupassen.
Das Team für die Hufe: Hufschmied & Hufpfleger
Nach Abklingen der akuten Entzündung spielt der Hufbearbeiter eine zentrale Rolle. Ziel ist es, den Huf mechanisch zu entlasten und eine gesunde Anatomie wiederherzustellen. Dies geschieht durch eine spezielle Hufbearbeitung und oft durch einen therapeutischen Hufschutz (Rehebeschlag, Klebeschuhe oder Gipse). Typische Maßnahmen sind das Kürzen der Zehe, das Zurücksetzen des Abrollpunktes und die Unterstützung des Strahls und der Trachten, um den Zug der tiefen Beugesehne zu neutralisieren und die schmerzhafte Zehenregion zu entlasten.
Prognose: Wird mein Pferd wieder reitbar?
Diese Frage lässt sich nicht pauschal beantworten. Die Prognose hängt direkt vom Ausmaß des initialen Schadens ab. Wurde die Rehe sehr früh erkannt und behandelt und liegt keine oder nur eine minimale Hufbeinrotation vor, sind die Chancen gut, dass das Pferd wieder voll belastbar wird. Bei einer schweren Rotation oder Senkung ist die Prognose vorsichtiger. Die vollständige Regeneration der Hufkapsel, also das einmalige komplette Herunterwachsen von neuem, gesundem Horn vom Kronrand bis zum Boden, dauert etwa ein Jahr. Ob und wann ein Pferd wieder geritten werden kann, muss individuell in enger Absprache mit Tierarzt und Hufschmied entschieden werden, basierend auf dem klinischen Bild und den Kontrollröntgenaufnahmen. In manchen Fällen ist eine Rückkehr zum Reitsport möglich, in anderen bleibt das Pferd ein „Beisteller“, der ein schmerzfreies Leben auf der Weide führen kann.
Die „Neue Normalität“: Lebenslanges Management
Ein Pferd, das einmal eine Hufrehe hatte, trägt ein lebenslanges Risiko für weitere Schübe. Der Hufbeinträger bleibt vernarbt und ist weniger belastbar. Daher ist eine dauerhafte Anpassung des Managements unerlässlich:
- Striktes Fütterungsmanagement: Eine zucker- und stärkearme Diät ist die Grundlage.
- Gewichtskontrolle: Übergewicht muss konsequent vermieden oder reduziert werden.
- Kontrollierter Weidegang: Unbegrenzter Zugang zu Weidegras ist für Risikopferde tabu. Fressbremsen sind hier ein wichtiges Hilfsmittel.
- Regelmäßige, korrekte Hufpflege: Eine optimale Hufbalance ist entscheidend.
Teil 6: Häufig gestellte Fragen (FAQ) zum Hufrehe-Notfall
Wie lange dauert ein akuter Hufreheschub?
Die hochschmerzhafte, akute Phase dauert oft mehrere Tage. Der Übergang zum chronischen Stadium, definiert durch eine Verlagerung des Hufbeins, kann jedoch schon nach 48 bis 72 Stunden Lahmheit eintreten. Die vollständige Heilung der geschädigten Strukturen, bis der Huf einmal komplett neu durchgewachsen ist, dauert bis zu einem Jahr.
Darf mein Pferd mit Hufrehe liegen?
Ja, unbedingt! Liegen ist die effektivste Form der Selbsthilfe für das Pferd, da es den Druck vollständig von den schmerzenden Hufen nimmt. Sorgen Sie für eine tiefe, weiche und bequeme Einstreu, um das Liegen zu fördern, und zwingen Sie Ihr Pferd unter keinen Umständen zum Aufstehen.
Ist Hufrehe heilbar?
Ein leichter Reheschub, der früh erkannt und aggressiv behandelt wird, kann ohne bleibende funktionelle Einschränkungen ausheilen. Allerdings bleibt eine Vorschädigung im Hufbeinträger zurück, die das Pferd anfälliger für zukünftige Schübe macht. Schwere Fälle mit starker Hufbeinrotation oder -senkung führen oft zu chronischen Veränderungen und Schmerzen, die ein lebenslanges, sorgfältiges Management erfordern, um dem Pferd eine gute Lebensqualität zu sichern.
Welche Rolle spielt eine Fressbremse in der Prophylaxe?
Für Pferde, die zu Übergewicht neigen oder an EMS leiden, ist eine Fressbremse ein unverzichtbares Management-Werkzeug. Sie kann die Grasaufnahme auf der Weide um 30 bis 80 % reduzieren und ermöglicht so soziale Kontakte und Bewegung, ohne den Stoffwechsel zu überlasten. Wichtig sind eine korrekte Passform, um Scheuerstellen zu vermeiden, und eine tägliche Kontrolle.
Muss ich das Heu für mein Rehepferd immer waschen?
Im akuten Schub und für sehr empfindliche Pferde ist das Waschen von Heu eine wichtige Sicherheitsmaßnahme, um den Zuckergehalt zu senken. Für das langfristige Management ist eine Heuanalyse der Goldstandard. Wenn eine Analyse ergibt, dass der Gehalt an Zucker und Stärke (ESC + Starch) unter 10 % liegt, kann auf das Wässern eventuell verzichtet werden. Ohne Analyse ist Wässern immer die sicherere Option.
Was ist der Unterschied zwischen Hufrehe und einer Huflederhautentzündung?
Hufrehe (Laminitis) ist eine spezielle, besonders schwere Form der Huflederhautentzündung. Der Begriff „Hufrehe“ bezeichnet die diffuse, nicht-infektiöse (aseptische) Entzündung der Lamellen, die den gesamten Hufbeinträger betrifft und oft durch systemische, also den ganzen Körper betreffende, Probleme ausgelöst wird. Dies unterscheidet sie von einer lokalen, infektiösen (septischen) Huflederhautentzündung, die beispielsweise durch einen Nageltritt oder einen Hufabszess verursacht wird.
Schlusswort: Handeln Sie schnell, handeln Sie richtig
Ein Hufrehe-Notfall ist eine der größten Herausforderungen für Pferdebesitzer. Die Bilder des leidenden Tieres sind schwer zu ertragen. Doch in diesem entscheidenden Moment sind Sie der wichtigste Verbündete Ihres Pferdes. Ihre Fähigkeit, die Symptome richtig zu deuten und sofort die richtigen Maßnahmen einzuleiten, ist der Schlüssel für eine positive Prognose.
Merken Sie sich die drei wichtigsten Aktionen: Erkennen, Tierarzt rufen, Kühlen. Wenn Sie diese Grundsätze befolgen und den in diesem Artikel beschriebenen Notfallplan umsetzen, geben Sie Ihrem Pferd die bestmögliche Chance, diese verheerende Krankheit zu überstehen. Mit Wissen, Konsequenz und der Unterstützung eines guten Teams aus Tierarzt und Hufschmied können viele Pferde auch nach einer Hufrehe wieder ein glückliches und lebenswertes Leben führen.

































